Mainova Frankfurt Marathon
Elf Kinder schützen vor Weltklasse nicht
Nancy Kiprop aus Kenia und Sara Hall aus den USA könnten auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein. Und doch haben sie in vielen Facetten ihres Lebens Gemeinsamkeiten. Nicht nur, dass beide Spitzen-Marathonläuferinnen sind. Beide stehen am Sonntag am Start des Mainova Frankfurt Marathons. Beide sind Familienmenschen. Beide sind Mütter. Und spätestens hier verlässt die Geschichte den Pfad des Gewohnten: Denn in Summe haben sie elf Kinder.
Nancy Kiprop ist Mutter von zwei eigenen und fünf adoptierten Kindern. Vor kurzem ist sie Großmutter geworden. Sie ist 39 Jahr alt. „Ich bin stolz darauf“, sagt sie und meint damit nicht nur ihr Dasein als Jung-Oma. Alles begann 1999, Nancy war 20. Sie war seit drei Monaten verheiratet und hatte gerade ihre Ausbildung als Lehrerin abgeschlossen, als bei einem Verkehrsunfall in der Umgebung von Iten, wo sie wohnt, ein Ehepaar ums Leben kam. Fünf Kinder waren auf einen Schlag Vollwaisen. Nancy nahm das Jüngste davon bei sich auf, die kleine Mercy Jepkoech war damals gerade erst neun Monate. Die älteren Geschwister litten jedoch unter dieser Situation – und was machte Nancy? Sie adoptierte die übrigen Vier. Mit den Kindern Charity Jepkogei, Brenda Jebiwot, Gladys Jerotich, Yvonn Jeruto und Mercy Jepkoech war sie plötzlich Mutter einer Großfamilie. Drei Jahre später brachte sie ihr erstes Kind zur Welt, Victor Kosgei. 2009 folgte die Jüngste der Familie, Victoria Kosgei. „Mein Baby“, nennt Nancy das Kind, wenn sie über Victoria spricht. Die beiden sind täglich zusammen. Die anderen sind mittlerweile zwischen 16 und 28 Jahre alt. Die komplette Familie trifft sich nurmehr in den Ferien, wenn alle von ihren Schulen oder Arbeitsstellen heimkommen.
„Ich habe eine Leidenschaft für Kinder“, sagt Nancy. Seit Jahren verfolgte sie die Idee, in ihrem Heimatort eine Schule zu gründen. „Ich bin hier aufgewachsen und will etwas für die Gemeinschaft zurückgeben .In dieser Gegend war das Bedürfnis für eine Schule einfach vorhanden“, beschreibt sie ihre Motivation. Die Finanzierung war schwierig. Sie bestritt zwar internationale Rennen, verdiente dabei aber nicht genug, um die Bauarbeiten abschließen zu können. Ein entscheidender Schritt gelang ihr 2017, als sie im Frühjahr den Wien Marathon gewinnen konnte. Mit dem Preisgeld bezahlte sie die Fertigstellung der Schule. Im Januar 2018 nahm sie mit zunächst sechs Kindern den Betrieb auf, mittlerweile sind es 64 Kinder in vier Klassen. In diesem Jahr wiederholte sie ihren Sieg in Wien und erzielte dabei ihre persönliche Bestleistung von 2:24:18 Stunden. Das Preisgeld steckte sie nun in den Bau eines Verwaltungsgebäudes und in ein Unterrichtsgebäude für eine zusätzliche Klasse, die 2019 starten wird. „Das Preisgeld hilft mir, den Schulbetrieb zu finanzieren. Es gibt immer noch so viel zu tun dabei. Ich muss als Läuferin weiter hart arbeiten. Es treibt mich an, gut zu laufen, wenn ich weiß, dass so viele Menschen von meinem Erfolg abhängig sind“, sagt sie. Auch ihre persönliche Zukunft sieht sie in ihrer Schule in Iten: „Nach Ende meiner Laufbahn möchte ich dort als Lehrerin tätig sein. Derzeit bin ich Manager der Schule, aber eigentlich bin ich Lehrerin und möchte die Kinder unterrichten.“
Einen Plan für die Zeit nach dem Leistungssport hat auch Sara Hall vor Augen. Die 35-jährige Amerikanerin, die eine Bestzeit 2:26:20 Stunden vorweisen kann, möchte nach Äthiopien gehen und dort leben - im Heimatland ihrer vier adoptierten Mädchen.
Im Herbst 2015 haben Sara und ihr Ehemann, der ehemalige Weltklasseläufer Ryan Hall, vier Mädchen aus einem äthiopischen Waisenhaus adoptiert. Mit Hana, die mittlerweile 18 ist, Mia, 14, Jasmine, 10, und Lily, 8, ist eine Großfamilie entstanden, die im kalifornischen Redding lebt. „Ryan und ich sind zum Training oft in Afrika gewesen. Wir haben gesehen, wie viele Waisenkinder es gibt. Das einzige, was gegen diese Entscheidung gesprochen hätte, wäre Angst gewesen. Aber wir haben eine Entscheidung auf Basis von Liebe getroffen“, beschreibt sie die Abwägung vor der Adoption. „Als Marathonläufer wissen wir, wie es ist, mit schwierigen Situationen umzugehen. Also haben wir uns auch die Adoption zugetraut.“ In einem zehnmonatigen Prozess haben sie sich gegenseitig kennengelernt. Sara lernte Amharisch, um sich mit den Kindern verständigen zu können, während die Mädchen begannen, Englisch zu lernen. In den USA mussten sich die Vier natürlich an ein neues Leben gewöhnen. „Es gab viele lustige Situationen, zum Beispiel als sie zum ersten Mal Rolltreppen sahen“, erzählt Sara schmunzelnd. Ihre Töchter betreiben alle gern Sport. Und, sie haben einen „wunderschönen Laufstil“, wie die stolze Mutter sagt. Hana, die älteste, hat bei regionalen Crossläufen bereits Siege geholt und will gerne Profiläuferin werden.
Ihre eigene Sportkarriere will Sara Hall noch einige Zeit fortsetzen. „Ich habe nicht vor, so bald mit dem Laufen aufzuhören. Es gibt noch viel Platz zur Verbesserung für mich. Ich genieße das Laufen und fühle kein Alter in meinem Körper, also will ich weitermachen“, versprüht sie sportlichen Tatendrang. Das Karriereende wird aber eines Tages kommen, und dann wird Äthiopien ein Thema. „Wir haben bereits ein Haus etwas außerhalb von Addis Abeba. Dort könnten wir leben. Möglicherweise starten wir eine Schule, wer weiß“, erzählt Sara. Was eine weitere Gemeinsamkeit mit Nancy Kiprop wäre.
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